Deine Schulzeit

Quelle: Ute Vogt
Was für ein Typ Schülerin warst du?
Meine schulischen Leistungen waren stark von der jeweiligen Schule - und wie ich finde, von den Lehrerinnen und Lehrern - abhängig. In der Grundschule war ich gut, im Gymnasium ziemlich schlecht und im Wirtschaftsgymnasium, auf das ich nach der 10. Klasse gewechselt habe, wurde ich dann wieder eine gute Schülerin. Motiviert hat mich dort, dass das Lernen - und auch die Lehrerinnen und Lehrer - ganz viel mit dem praktischen Leben zu tun hatten. Vorher musste ich die 9. Klasse wiederholen, übrigens mein überflüssigstes Schuljahr, denn ich wurde danach im Gesamtschnitt sogar schlechter, konnte allerdings die Fünfen vermeiden, die mir die Wiederholung eingebrockt hatten. Meine Stärke in der Schule lag eindeutig in der sozialen Kompetenz. Ich war immer Klassensprecherin und in der SMV sehr engagiert und habe mich gewehrt, wenn ich etwas ungerecht fand. Trotzdem hatte ich gegenüber Lehrerinnen und Lehrern fast immer ein Ohnmachtsgefühl und fühlte mich ihrem "längerem Hebel" ausgeliefert. Sicherlich kommt daher auch mein Antrieb für die politische Arbeit: Etwas verändern und nicht nur unter den Verhältnissen leiden - und vor allem selbst aktiv mitzubestimmen war und ist mir wichtig.
Was hast du nach deinem Schulabschluss gemacht?
Nach dem Abitur bin ich direkt an die Uni in Heidelberg. Damals war ich schon bei den Jusos aktiv und wollte schon deshalb in der Nähe meiner Heimatstadt Wiesloch bleiben. Allerdings wollte ich anfangs gar nicht studieren. Meine Eltern hätten es auch sinnvoller gefunden, wenn ich direkt eine Berufsausbildung gemacht hätte. Sie dachten an einen Bürojob, wie Industriekauffrau, ich dachte daran zur Polizei zu gehen. Es war aber das Jahr 1985 und in Baden-Württemberg gab es damals keine Frauen bei der Polizei; nur ein paar wenige bei der Kripo, aber da wurde man erst genommen, wenn man bereits eine andere Berufsausbildung hatte. Der Berufsberater riet mir dazu, Krankengymnastin zu werden und schickte mich mit einer Liste von Krankengymnastikschulen wieder weg. Damit war meine Entscheidung klar: Dann studiere ich halt doch - und klar war eigentlich schon länger, falls ich studiere, dann kommt nur Jura in Frage. Das Jura-Studium verband ich mit dem Traum, Jugendrichterin zu werden.
Deine Studienzeit in Heidelberg

Quelle: Ute Vogt
Was hast du studiert und wie kam es zu deiner Studienwahl?
Studiert habe ich Jura in Heidelberg und einen verwaltungswissenschaftlichen Teil in Speyer. Mir war bei der Studienwahl wichtig, dass ich am Ende einen konkreten Beruf habe. Vorgestellt hatte ich mir immer, als Jugendrichterin zu arbeiten. Ich dachte, da kann ich jungen Leuten helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, wenn sie straffällig geworden sind. Zugute kam mir beim Studium meine Fähigkeit, mich auszudrücken und zu argumentieren. Allerdings habe ich bei meiner damals ehrenamtlichen politischen Arbeit mindestens ebenso viel gelernt wie im Studium. Außerdem habe ich während meines Studiums auch immer gearbeitet. Zum Beispiel als Aushilfe in einem Steuerberatungsbüro oder als Verkäuferin in einem Kiosk und Lebensmittelladen im Psychiatrischen Zentrum in Wiesloch. Dort konnte ich ebenfalls viele Erfahrungen sammeln, die mir an der Uni nie begegnet wären. Ab 1989 war ich dann Stadträtin in Wiesloch und wurde kurz darauf Landesvorsitzende der Jusos in Baden-Württemberg. Damit hatte sich mein Arbeitsschwerpunkt etwas vom Studium weg verlagert, aber gelernt habe ich in der Zeit trotzdem ungeheuer viel - halt nicht unbedingt nur Rechtswissenschaftliches.
Was genau macht man im Studium?
Bei Studienbeginn waren meine Gefühle sehr gemischt. Die Freiheit war prima. Wir konnten die Fächer weitgehend selbst zusammenstellen, eigene Schwerpunkte bilden und endlich war der vorgegebene Stundenplan der Schule weg. Andererseits fühlte ich mich sehr fremd. Gerade bei den Juristen gab es viele Wichtigtuer und auch eine große Zahl sehr schick gekleideter Menschen mit großem Selbstbewusstsein. Selbstbewusst war ich auch, aber ich kam mir mit meinem ausgeprägten Dialekt und meinem Motorrad-Fahrerinnen-Look doch etwas fehl am Platze vor zwischen den vielen vornehm wirkenden College-Typen. Aber keine Sorge, so was legt sich schnell. Denn zum einen merkt man recht bald, dass auch die besonders forsch auftretenden nicht mehr Ahnung haben als man selbst (es nur besser überdecken) und es sind zudem so viele Studierende, dass man immer auch Gleichgesinnte findet, mit denen es Freude macht, gemeinsam zu lernen oder auch sonst etwas zu unternehmen.
Aufgrund meiner politischen Arbeit, besonders auch wegen meines Amtes als Stadträtin in Wiesloch, bin ich während des Studiums immer Pendlerin geblieben. Das empfand ich als Nachteil, weil ich dann nicht mal eben in die Bibliothek oder den Fachbereich konnte, um mich mit anderen spontan zu treffen oder kurz was nachzuschauen. Und ein Teil des Studentenlebens außerhalb der Uni ging damit auch an mir vorbei.

Quelle: Ute Vogt
Wie empfandest du dein Referendariat?
Bei uns gab es das erste und zweite Staatsexamen und dazwischen das Referendariat. Dieses, wie auch die vorherigen Praktikumszeiten, haben mich fürs Studium motiviert, denn ich habe erlebt, was ich mit meinem Wissen anfangen kann. Dabei hat sich mein ursprüngliches Berufsziel verändert. Durch den Einblick in die Praxis bei Gerichten, Staatsanwaltschaft, Verwaltungen und Rechtsanwaltskanzleien wandelte sich mein Berufsziel dazu, Rechtsanwältin zu werden, weil ich das ganz eindeutig am abwechslungsreichsten fand und weil es dabei die größte persönliche Freiheit gibt. In der Zeit nach dem ersten Staatsexamen fand ich es leichter zu lernen, weil ich viel besser wusste, auf was es ankommt. Und der Stoff hatte deutlich mehr Praxisbezug. Vor dem ersten Staatsexamen lernt man in der Rechtswissenschaft oft viele Dinge, die man gar nicht zueinander bringen kann. Den richtigen Überblick über mein Studium bekam ich erst unmittelbar in der Vorbereitung auf das erste Staatsexamen, wo sich mir durch gezieltere Vorbereitung über die unterschiedlichen Fächer hinweg der rote Faden der Juristerei erschlossen hat.
Mit welchen Erwartungen hast du damals dein Studium begonnen? Haben sich diese bestätigt?
Anfangs wusste ich nicht, was mich erwarten würde. Das Studium war abstrakter als ich gedacht hatte und es brauchte einige Zeit, bis ich mich ins juristische Denken einfinden konnte. Im dritten Semester hätte ich beinahe aufgehört, weil ich das Gefühl hatte, das alles nicht mehr zu überblicken. Aber ich habe mich durchgebissen und bin froh darüber. Eine besondere Bereicherung fand ich Seminare, bei denen wir in kleineren Gruppen gelernt haben und auch Kontakt zu den Professoren bekamen, was in den Vorlesungen praktisch nicht der Fall war. Die Vorlesungen in Heidelberg fand ich bis auf wenige Ausnahmen nicht so gut und die Professoren waren häufig abgehoben und wenig motiviert, uns etwas beizubringen. In Speyer gefiel es mir in Bezug auf die Hochschullehrer eindeutig besser. Dafür ist die Stadt Heidelberg natürlich eine wunderbare Umgebung für ein Studium und man findet genug zum Ausgleich, wenn einen die Uni mal nervt.
Am Ende war ich dann aber doch froh, als ich es geschafft hatte. Die Uni gab sich bei der Gestaltung des Abschlusses leider wenig Mühe, man bekam seine Examensergebnisse nur zugeschickt und der einzig formale Akt war das Abholen der Exmatrikulationsbescheinigung beim Sekretariat. Das empfand ich als ziemlich lieblos und enttäuschend. Aber das ist vielleicht heute auch anders.
Hast du dich schon während deiner Schul- oder Studienzeit politische engagiert?
Mein politisches Engagement begann schon in der Schulzeit. Politisiert wurde ich über die Friedensbewegung. Ich war gegen Atomwaffen und Aufrüstung und suchte einen Weg, die Politik zu verändern. Unsere Demonstrationen haben im ersten Moment nichts verändert, obwohl hunderttausende auf der Straße waren. Deshalb habe ich mich entschieden, in einer Partei mitzuarbeiten. Denn alle Themen greifen irgendwie ineinander; und wer zum Beispiel Frieden will, muss sich um gute soziale Bedingungen, um Arbeitsplätze, um Wirtschaftspolitik oder auch um Außenpolitik kümmern. So kam ich zur SPD.
Dein Job als Mitglied des Bundestages

Quelle: Ute Vogt
Wie war dein Weg in den Bundestag?
Bundestagsabgeordnete war kein Berufsziel von mir. Nach dem Studium wollte ich als Anwältin arbeiten. Die Planung war dabei, ehrenamtlich Stadträtin zu bleiben und höchstens später mal ein kommunales Wahlamt, wie zum Beispiel Oberbürgermeisterin, anzustreben. Aber wie in vielen Bereichen, wo Menschen ehrenamtlich tätig sind, ist es auch in der Politik. Wer durch Engagement auffällt, wird gefragt, noch weitere Aufgaben zu übernehmen. So war es auch bei mir. Als in Pforzheim/Enzkreis der damalige SPD-Abgeordnete aufhörte, kamen die Kreisvorsitzenden auf mich zu und fragten, ob ich nicht Interesse an einer Kandidatur als Bundestagsabgeordnete hätte. Ich war dann nicht die einzige Interessentin, aber ich war 29, angehende Rechtsanwältin, ehrenamtliche Stadträtin und Juso-Landesvorsitzende und dachte: Wer weiß, ob mich in vier Jahren nochmal jemand fragt und habe die Chance ergriffen und mich beworben. Es folgte eine anstrengende wochenlange Bewerbungstour durch alle SPD-Ortsvereine in Pforzheim und im Enzkreis, auf der sich mein Konkurrent und ich jeweils gemeinsam vorgestellt haben. Am Ende habe ich auf der entscheidenden Wahlkreiskonferenz dann die Abstimmung gewonnen und nach der Bundestagswahl 1994 zog ich dann mit 30 Jahren erstmals als Abgeordnete in den Deutschen Bundestag ein.
Wie ist es ein Mitglied des deutschen Bundestages zu sein?
Bundestagsabgeordnete ist ein vielseitiger, spannender, aber auch anstrengender Beruf. In Berlin sind Abgeordnete stark auf das eigene Fachgebiet konzentriert. Hier ist der Tagesablauf einigermaßen geregelt, denn in jeder Sitzungswoche sind die Sitzungen der Facharbeitsgruppen, der Fraktion, der Ausschüsse und die Plenardebatten immer in den gleichen Zeiträumen angesetzt. Das ist aber schon alles an Regelmäßigkeit. Die Themen sind ständig wechselnd, aber durch Anträge und eigene Initiativen oder Gesetzesvorschläge kann man die Themen auch selbst mitbestimmen. Etwa 22 Wochen des Jahres sind Sitzungswochen in Berlin, also Anwesenheitspflicht von montags bis freitags. Der Tag beginnt meist gegen 8 Uhr und endet in der Regel am späten Abend. Denn den Sitzungen folgen abendliche Veranstaltungen, Diskussionen oder auch repräsentative Verpflichtungen. Also Termine, bei denen man dabei sein muss, um Kontakte zu knüpfen und Interesse zu zeigen und dazu zu lernen. Bei der Arbeit im Wahlkreis ist es den meisten Menschen übrigens egal, was man in Berlin macht. Sie erwarten Antworten zu den Themen, die sie bewegen. Es gilt also, stets über das eigene Fachgebiet hinaus die aktuellen Themen im Griff zu haben.

Quelle: Ute Vogt
Was findest du ist das Spannendste an deinem Job?
Ich habe Einblick in nahezu alle Lebensbereiche und Fachgebiete. Menschen, die von staatlicher Unterstützung leben müssen, sind ebenso unsere Gesprächspartner wie Manager von großen Firmen. Wir müssen den Anliegen der Unternehmen ebenso zuhören, wie denen der Arbeiter/innen und Angestellten. Es gilt vor Entscheidungen, alle Argumente zu hören und abzuwägen. Den Energieversorgern genauso wie den Umweltverbänden. Und es gibt kein Thema, bei dem sich nicht jemand kompetentes im Bundestag findet, der dir weiterhelfen kann oder zumindest jemanden kennt, der weiterhilft. Im Gegenzug dafür muss man aber auch Entscheidungen treffen. Und hinterher seine Entscheidung auch vor denen vertreten, die damit nicht zufrieden sind. Und man muss Kompromisse schließen können, also lernen, dass nicht immer alles ganz genauso umgesetzt werden kann, wie man es sich persönlich wünscht.
Sich mit Politik auseinander zu setzen ist wichtig weil...
...Politik das Leben unmittelbar beeinflusst und unsere Demokratie davon lebt, dass alle ihre Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen einbringen.
Was würdest du deinem jüngeren Ich raten?
Gut war, dass ich stets daran gearbeitet habe, auf jeden Fall einen Berufsabschluss zu haben, der mich unabhängig macht. Denn gerade wer Politik als Beruf hat, kann sich nicht darauf verlassen, immer wieder gewählt zu werden. Es ist ein Beruf auf Zeit. Im Nachhinein hätte ich vor allem in der Studienzeit doch mehr Zeit für mein Studium aufwenden sollen. Ein Semester im Ausland wäre gut gewesen und vor allem bedauere ich, dass ich nur Englisch und Latein gelernt habe.